Rückblick: „Literatur Jetzt!“ 2008

Das Dresdner Festival zeitgenössischer Literatur mit dem Titel „Literatur Jetzt!“ fand vom 25. bis zum 30. November 2008 statt. Über 1800 Zuschauer besuchten die 12 Veranstaltungen des Festivals, an denen fast 30 Autoren und andere Künstler mitwirkten. Lesungen, Diskussionen und Workshops fanden dabei im Kleinen Haus, im Kulturzentrum Scheune, im Kulturhaus Loschwitz, im Deutschen Hygiene-Museum, in der Hauptbibliothek und im E-Zwo statt. Einen ausführlichen Rückblick auf die Veranstaltungen gibt es nach dem Klick >>>

Plakat Beat Poetry

Los ging’s am 25. November im ausverkauften neubauLabor im Kleinen Haus des Dresdner Staatsschauspiels mit der Eröffnungsveranstaltung „Beat Poetry„. Die junge Lyrikerin Nora Gomringer präsentierte die „Sprechtexte“ ihres neuen Bandes „Klimaforschung“ zur Begleitung von Jazz-Schlagzeuger Günter Baby Sommer. Die Kooperation der beiden Künstler, die zum ersten Mal ein abendfüllendes Programm gemeinsam gestalteten, löste beim Publikum durchweg Begeisterung aus. Der beinahe theatralische Vortragsstil Gomringers und das expressive Spiel Sommers ergänzten sich auf das Beste.

Am 26. November folgte das „Gipfeltreffen der Lesebühnen“ in der Scheune. Mehr als hundert Zuschauer verfolgten, wie die vier eingeladenen Autoren im fliegenden Wechsel ihre meist heiteren, aber alles andere als gedankenlosen Geschichten lasen. Dabei waren: Julius Fischer von der Dresdner Lesebühne Sax Royal, André Herrmann von der Leipziger Lesebühne Schkeuditzer Kreuz, Ahne von den Berliner Surfpoeten und Jochen Schmdit von der Berliner Chaussee der Enthusiasten, der mit seinen grotesken Bekenntnissen zum Publikumsliebling des Abends avancierte.

 

Am 27. November las Wladimir Kaminer in der Scheune und zog erwartungsgemäß ein großes Publikum an. Eine erste Lesung war mit über 300 Zuschauern ausverkauft und auch ein zweiter Durchgang um 22 Uhr noch sehr gut besucht. Der Autor präsentierte gewohnt gekonnt nicht nur Texte, sondern unterhielt das Publikum immer wieder auch durch eingestreute Anekdoten. Einmal mehr erwies sich der Autor als sympathischer Erzähler und subtiler Humorist.

Auch am 27. November fand im Kulturhaus Loschwitz die – leider nur spärlich besuchte – Lesung „Poesie heute“ statt. Gewohnt eloquent und sympathisch moderierte Ulrike Almut Sandig, die Lyrikerin und Herausgeberin der Literaturzeitschrift EDIT, den Abend und machte die Zuhörer mit zwei jungen lyrischen Stimmen bekannt. Für die Poetin Barbara Felicitas Tax war es sogar die erste Lesung überhaupt. Dem Dichter Nobert Lange hingegen, der auch stimmlich seine oft collagenartig montierten Texte zum Leben erweckte, merkte man die größere Erfahrung an. Im Gespräch, das sich nicht zuletzt um die Frage der Übersetzbarkeit von Gedichten drehte, einigten sich die Autoren auf die Idee, dass das gelungene Gedicht dem Leser wie dem Autor einen Mehrwert an Erkenntnis beschert.

Am 28. November folgte mit dem „Poetry Slam – Dead or Alive“ in der Scheune ein Höhepunkt des Festivals. Vier bestens aufgelegte quicklebendige Poetry Slammer, die eben von den deutschsprachigen Meisterschaften aus Zürich zurückgekehrt waren, präsentierten ihre aktuellen Texte: Julius Fischer aus Leipzig, Bumillo aus München, Peh aus Berlin und Nadja Schlüter aus Bonn. Mit ihnen maßen sich vier verstorbene Schriftsteller, denen die lebendige Hülle von vier herausragenden Schauspielern des Dresdner Staatsschauspiels geliehen wurde. Holger Hübner verkörperte Joachim Ringelnatz, René Erler präsentierte höchst eindrucksvoll Szenen aus dem Werk des französischen Dramatikers Bernard-Marie Koltès, Katka Kurze las Texte von Ulrike Meinhof und Franziska Beyer lieh dem wunderbaren Karl Valentin ihre Stimme. Im Finale, in das die mehr als 400 Zuschauer Julius Fischer, Nadja Schlüter, Franziska Beyer und René Erler wählten, setzte sich schließlich Lokalmatador Julius Fischer durch. Seine im Rekordtempo gelesenen Alltagsreflektionen rissen die Zuschauer wieder gänzlich mit und hin.

Am 29. November fand die Veranstaltung „Hin & weg“ im Deutschen Hygiene-Museum statt. Die Lesung und Diskussion, die vom Literaturkritiker und Autor Jörg Magenau moderiert wurde, beschäftigte sich mit der Literatur in Dresden ebenso wie mit Dresden in der Literatur. Marcel Beyer berichtete, dass sein jüngster Roman „Kaltenburg“ nirgendwo anders als in Dresden hätte entstehen können. Nachdem sein Umzug nach Dresden anfangs eher Zufall gewesen war, sei er inzwischen in der Elbestadt auch literarisch heimisch geworden.  Der Held seines Romans sei von seinen eigenen Erfahrungen in der Stadt stark beeinflusst worden. Die in Dresden aufgewachsene junge Autorin Franziska Gerstenberg schloss zwar nicht aus, irgendwann wieder nach Dresden zurückzukehren – doch sei im Moment die Offenheit und Rauhheit von Städten wie Leipzig oder Berlin ihrem Schreiben wesentlich zuträglicher als die selbstzufriedene Schönheit ihrer Geburtsstadt. Der kubanische Exilautor Carlos Aguilera ermöglichte einen Blick über den Tellerrand: Für einen politischen Exilanten stellt sich die Frage nach dem Ort des Schreibens auf viel existenziellere Weise. In dieser Hinsicht bot ihm Dresden für zwei Jahre eine Zuflucht, die umso willkommener war, als die Ostdeutschen die Erfahrung des Sozialismus teilten und sein Schicksal leichter verstehen konnten als die Menschen anderswo. Die Autorin Undine Materni schließlich bestand aus persönlicher Perspektive darauf, sich trotz aller Defizite Dresdens in der Stadt wohl zu fühlen und auch bleiben zu wollen. Einen größere und enger verflochtene Literaturszene vermisste sie nicht und bestätigte damit die These Marcel Beyers, nach der Dresden eher eine Stadt der literarischen Einzelgänger sei.

Am 30. November ging das Festival zu Ende: Im Kulturhaus Loschwitz war unter dem Titel „Ost-Südost“ die Literatur der Staaten des ehemaligen Jugoslawiens zu Gast. Leider musste die kroatische Autorin Olja Savi?evi? kurzfristig absagen. Die Literaturagentin Dagmar Schruf, die auch die Übersetzung der Texte des anwesenden serbischen Romanciers Srdjan Valjarevi? las, vertrat die Schriftstellerin aber würdig. Eine kurze Einführung in die Literatur der beiden Staaten bot die Literaturwissenschaftlerin und Übersetzerin Alida Bremer aus Münster, die auch die Diskussion leitete. Gelesen wurde aus dem jetzt im Wieser Verlag auch auf Deutsch erschienenen Roman „Komo“ von Srdjan Valjarevi?, in dem ein serbischer Schriftsteller dank einer Einladung wider Willen das luxuriöse Leben in einer italienischen Villa kennen lernt. Danach erlebten die Zuhörer drei Geschichten aus dem Erzählband „Augustschnee“ von Olja Savi?evi?, darunter die Story „Schwuchteln“, die eindrucksvoll die Homophobie in der Provinz schildert.

Auch am 30. November fand die Offene Bühne im Hecht statt. Die Gastgeber Steffen Haas und Stephen Blaubach hatten wieder eine bunte Mischung von Literaten, Musikern und anderen Künstlern auf ihrer Bühne. Literarisch traten vor vollem Haus dabei unter anderen die Dresdner Autoren Moritz 7, Florian Hohmann und Christiane Michel mit Prosa wie Lyrik auf. Wie immer klang die Veranstaltung mit kollegialen Gesprächen aus, bei denen Ideen geboren wurden, die vielleicht schon bald die Bühnen der Stadt erobern.

(Text: Michael Bittner, Fotos: Christiane Michel)