Die 12. Ausgabe unseres Festivals zeitgenössischer Literatur in Dresden fand vom 23. bis 27. September 2020 unter erschwerten Bedingungen statt: Der Platz bei den Veranstaltungen von Literatur JETZT! im Zentralwerk und der scheune war wegen der durch die Corona-Pandemie notwendigen Hygiene-Regeln beschränkt, Tanzlustbarkeiten und Konzerte waren unmöglich. Dennoch wurde das Festival zum großen Erfolg: dank der mehr als vierzig Autor*innen und anderen Mitwirkenden bei den zwanzig Veranstaltungen, vor allem aber auch dank des Dresdner Publikums, das unverdrossen zu unseren Lesungen strömte und mehrfach für ein restlos ausverkauftes Haus sorgte. Etwa 1200 Menschen besuchten trotz der beschränkten Kapazitäten insgesamt die Veranstaltungen von Literatur JETZT! und die Lesungen bei dem in Kooperation parallel von LiteraTOUR Sachsen im Zentralwerk organisierten Kinderlesefest Literatur FETZT!
Am Mittwoch (23. September) wurde Literatur JETZT! 2020 von Juliane Hanka und Helge Pfannenschmidt aus unserem Team feierlich eröffnet. Und dann gehörte die Bühne der vielfach ausgezeichneten Schauspielerin Sandra Hüller und ihrem nicht minder renommierten Kollegen Jens Harzer. In einer dialogischen Lesung präsentierten die beiden die Uraufführung von „Traum und Trauma – Ingeborg Bachmann“, ursprünglich konzipiert von Joachim Hoell im Auftrag der litCologne2020. Bachmanns großes Gedicht „Böhmen am Meer“ war ebenso zu hören wie Auszüge aus dem Roman „Malina“ oder ihrem Briefwechsel mit Paul Celan. Das Publikum im ausverkauften Zentralwerk lauschte der intensiven Lesung gebannt.
Auch der Donnerstag (24. September) begann wieder mit ausverkauften Veranstaltungen. Beim Lyrikabend „Zentralwerk der Poesie“ (mit Undine Materni, Mirko Bonné und Kerstin Preiwuß, vorgestellt von Volker Sielaff) und der Lesung mit Saša Stanišić blieb kein Platz frei. Johannes Gerstengarbe führte das Publikum mit seiner Gitarre durch das halbe Zentralwerk, an drei ausgewählten Stationen lasen die Lyriker aus ihren aktuellen Büchern. Buchpreisträger Saša Stanišić gab danach, begrüßt von Leif Greinus, im Großen Saal temperamentvolle Einblicke in seinen Roman „Herkunft“, während im Kleinen Saal die Fans der Lesebühnen den Autoren Maik Martschinkowsky, Susanne Riedel, Heiko Werning und Jan von Im Ich lauschen konnten, die mit satirischen Geschichten und Liedern aufwarteten. Der zweite Festivaltag klang am späten Abend mit dem Livehörspiel „Giganten des Universums“ aus. Das Ensemble von Candlelight Dynamite entführte die Gäste mit einem multimedialen Spektakel in die Welt der „Masters of the Universe“, wo die Schlacht zwischen He-Man und Skeletor tobte.
Der Sonnabend (26. September) begann im Kleinen Saal mit einer Lesung von Christian Baron aus seinem Buch „Ein Mann seiner Klasse“. Befragt von Michael Bittner gab er Auskunft über die Entstehung seines autobiografischen Werks, in dem er über eine Kindheit in prekären Verhältnissen zwischen einem prügelnden Vater und einer depressiven Mutter berichtet – ein berührendes Bild sozialer Realitäten in Deutschland! Im Großen Saal folgte die Veranstaltung mit Bestsellerautor Frank Goldammer, die Karin Großmann souverän moderierte. Goldammer las aus „Zwei fremde Leben“, einem Roman über das Thema Zwangsadoption in der DDR.
Zu fortgeschrittener Stunde wurde es im Zentralwerk am Samstag dann noch voller und: kompliziert. „Es ist kompliziert“ – so hieß der Abend über Liebe und Beziehung, der den Festivalsamstag beschloss. Moderator Jörg Stübing stellte zunächst Frank Berzbach, den Autor des Buches „Die Schönheit der Begegnung“ vor. Wie kann man sich kennenlernen? Und wo? 32 Variationen über ein ewig junges Thema. Glenn Goulds „Goldberg-Variationen“ leiteten über zum zweiten Paar des Abends: Jochen Schmidt und Line Hoven. In einem heiteren Wechselspiel zwischen Autor und Illustratorin präsentierten die beiden ihr Buch „Paargespräche“. Zwischendrin, nach Beantwortung einer Preisfrage, verschenkte Line Hoven überraschend auch noch einige ihrer Arbeiten mittenmang ins Publikum. Am Ende gab’s großen Applaus für einen unterhaltsamen und philosophischen Abend über die schönste Sache der Welt.
Unterdessen ging am Samstagabend drüben in der Scheune in der Neustadt im Rahmen unseres Festivals zum zweiten Mal in Dresden ein Reporter Slam über die Bühne. Zum ersten Mal seit sieben Monaten konnte Jochen Markett, der Organisator und Moderator des Reporter Slams, überhaupt wieder eine Veranstaltung auf die Beine stellen. Fünf Journalistinnen und Journalisten erzählten von ihren witzigsten und aufregendsten Recherchen – auffällig oft ging es dabei diesmal tierisch zu. Die freie Journalistin Denise Peikert stellte einen vorbestraften Zirkusdirektor vor, der mit seinen drei Elefanten überall in Deutschland vom Hof gejagt worden ist und nun sein Heil in einem thüringischen Kaff sucht. Dmitrij Kapitelman, freier Autor aus Frankfurt (Main), nahm das Publikum mit zu seiner skurrilen Suche nach dem mysteriösen Hackphantom. 2017 legte ein Unbekannter regelmäßig ein Pfund Hack an einem Bahnhof in Pfinztal ab. Warum? Das weiß bis heute nur der Täter. Cornelius Pollmer von der Süddeutschen Zeitung berichtete über den Grottenolm, einen blinden, tauben Schwanzlurch, der eigentlich ein klassischer Antiheld ist. Doch weil sich im Harz nun erstmals in Deutschland Nachwuchs bei den Grottenolmen anbahnt, wird eine dunkle Höhle zum attraktiven Touristenziel. Die freie Journalistin Carina Huppertz aus Leipzig erzählte von ihrer Recherche im Milieu der Reichsbürger. Eine von ihnen prägte den markanten Satz: „Mein Hund scheißt auf Reichsgebiet – und nicht in die Stadt Zwickau!“ Zum Abschluss erzählte Lokalmatador Maximilian Helm (Sächsische Zeitung) die verrückte Geschichte von Schloss Taubenheim: Ein bayerischer Pferdezüchter konnte ein sächsisches Landschloss für nur 80.000 Euro erwerben und finanzierte es auf fragwürdige Art und Weise. Zur Siegerin akklamierte das Publikum in der ausverkauften Scheune am Ende: Carina Huppertz!
Am Samstag begann im Zentralwerk auch das von LiteraTOUR Sachsen organisierten Kinderlesefest Literatur FETZT!, das unser Programm für Erwachsene bestens ergänzt. Massen von Eltern und Kindern strömten zu den spannenden Experimenten, die Jo Hecker unter dem Titel „Frag doch mal … die Maus“ präsentierte. Es folgten Sabine Engel mit „Bühne frei für Ben“ und Jörg Isermeyer, der in Wort, Ton und Bild den Band „Lyrik-Comics“ vorstellte.
Wir danken herzlich allen lesenden und lauschenden Gästen bei unserem diesjährigen Festival, besonders auch für das Verständnis für die nötigen Hygiene-Regeln. Wir freuen uns auf die 13. Ausgabe unseres Festivals Literatur JETZT! im September 2021 – dann hoffentlich wieder gänzlich unbeschwert.