Schön war’s! Die erste – und hoffentlich nicht letzte – Ausgabe des Dresdner „Festivals zeitgenössischer Literatur“ „Literatur Jetzt!“ ist mit großem Erfolg über die Bühne gegangen. Über 1700 Menschen besuchten die 13 Veranstaltungen, an denen mehr als 30 Autoren und andere Künstler beteiligt waren. Wer die eine oder andere Veranstaltung verpasst haben sollte, der kann seine Neugier jetzt hier in der Lektüre eines ausführlichen Rückblicks befriedigen.
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Spannend und unterhaltsam eröffnete die TITANIC Boygroup am 20. November das Festival „Literatur Jetzt!“ im fast ausverkauften Sergio-Leone-Saal der Schauburg. Die drei glorreichen Halunken und gegenwärtigen oder ehemaligen Chefredakteure des Satiremagazins TITANIC, Thomas Gsella, Martin Sonneborn und Oliver Maria Schmitt, lieferten eine multimediale Schau, die auf wunderbar amoralische und illusionslose Weise existenzielle Wissenslücken schließen konnte. So erfuhr die geneigte Zuhörerschaft beispielsweise in der Reihe „Hinterbänkler privat“ Details aus dem Leben bisher unbeachteter Bundestagsabgeordneter und lernte viel über den korrekten Umgang mit Presse, Leserbriefen und Fiskus: Ignorieren, Verhöhnen, Ausweichen. Höhepunkt des Abends war für mich der zur Hälfte in schönsten ostdeutschen Dialekten nachgestellte Telefonterror, mit dem die GEZ-Gebühren für 10 Jahre Westfernsehen in der DDR eingetrieben werden sollten. Danke an das Trio für einen gelungenen Abend voller Spitzen und Eisberge! (Text: Christiane Michel)
Am 20. November fand in der Scheune der Lamm Records Song Slam statt. Ein glänzend aufgelegter Moderator und Entertainer Mark Scheibe führte durch den Abend und ließ es sich nicht nehmen, am Flügel immer wieder selbst für Stimmung zu sorgen. Im Wettstreit der Musiker traten diesmal ausschließlich Frauen an: Das Label Lamm Records brachte Heidi Marie Vestrheim, Dancer vs. Politician, Ava and the Hawkline Monster und Susie Asado mit, für Dresden startete Mara von Ferne. Nach mehreren Auftritten, in denen die Zuschauer jeweils ihre Favoriten in die nächste Runde akklamieren konnten, siegte schließlich nach einem finalen Improvisationswettbewerb Heidi Marie Vestrheim vor Ava and the Hawkline Monster und der einheimischen Sängerin Mara von Ferne. Ein gemeinsames Schlusslied vereinigte glückliche Künstler und zufriedenes Publikum, bevor unten im Foyer das Starsheriffs-DJ-Team mit Mod, Wave, Beat, Elektronika und Indie zum Eröffnungstanz des Festivals auflegte. (Text: Michael Bittner)
Seine erste Lesung im Rahmen des Festivals „Literatur Jetzt!“ bestritt Franz Dobler am Abend des 21. November in der Scheune. Er las aus jenem Roman von Jörg Fauser, an dem der legendäre Autor arbeitete, als er Ende 1986 bei einem mysteriösen Verkehrsunfall ums Leben kam: „Die Tournee“. Der Roman aus dem Nachlass erschien vor kurzem in der Jörg-Fauser-Edition des Berliner Alexander-Verlages. Aber auch andere Texte und Gedichte Fausers waren Teil des Programms. Unmittelbar spürten die Zuhörer des Abends die Geistesverwandtschaft, die den lebenden Autor mit dem toten Schriftsteller verband. Ohne Zweifel dürfte diese Lesung dazu beigetragen haben, dass der Bekanntheitsgrad Jörg Fausers verdientermaßen auch in Dresden wachsen wird. (Text: Michael Bittner)
Einen facettenreichen Abend mit einem Querschnitt durch die aktuelle Lyrikszene bot das Poetengeflüster am 21. November im Lingnerschloss. Der von Undine Materni moderierte Abend begann mit den komplizierten Wortgeflechten eines Ron Winkler, in denen sich der Inhalt formvollendet zersplittert und wieder zusammengefügt zeigte. Im Anschluss daran hörte man von Ulrike Almut Sandig Texte aus ihrem druckfrischen Lyrikband „Streumen“. Sie zeichnen sich durch leise, intensive Töne in einer klar formulierten und gleichzeitig subtilen Sprache aus, die eigene Bilder im Kopf entstehen lässt. Den Abend beschloss auf sehr präsente Weise Roman Israel, Mitglied der Dresdner Lesebühne sax royal. Die Vorbilder aus der Konkreten Poesie und dem Dadaismus sind deutlich erkennbar, trotzdem hat er seinen eigenen Stil gefunden und verfolgt ihn konsequent. (Text: Christiane Michel)
Am 22. November bestritt Franz Dobler, der besondere Gastautor des Festivals „Literatur Jetzt!“ in der Scheune seine zweiten Auftritt, der viel mehr als eine gewöhnliche Lesung war: Nicht nur gab es Bruchstücke aus einem noch unveröffentlichten Roman, der in der übel beleumundeten Landschaft des Dachauer Mooses spielen soll, sondern auch feuilletonistische Texte des Musikjournalisten, immer wieder aufgelockert durch Einspielungen von Liedern junger deutscher Popmusik, die Franz Dobler in einer Serie von Samplern herausgibt. Spät in der Nacht begeisterte er dann noch eine nimmermüde Fanschar als DJ. Unter dem Titel „get rhythm!“ legte er Country, Rockabilly, Soul, Ska, Rock’n’ Roll und International Outlaw Discorama auf. (Text: Michael Bittner)
Die Dresdner Lesebühne “Sax Royal” war am 22. November in der Scheune Teil des Festivals. Wie immer präsentierten Michael Bittner, Julius Fischer, Roman Israel, Max Rademann und Stefan Seyfarth im fliegenden Wechsel ihre neuesten Geschichten, Gedichte und Songs – doch hatten sie zum besonderen Anlass auch einige Überraschungen parat. Julius Fischer etwa tröstete in einem wunderschönen Lied alle Traurigen der Welt, mit der hoffnungsfrohen Botschaft, dass es immer noch einen gibt, dem es noch schlechter geht. Roman Israel präsentierte sich gewohnt kontrovers mit einer dialogischen Szene – Akteure: Eva Braun und ein gewisser Adolf Hitler. Der überraschende Stargast am Ende der Show war dann niemand anderes als Gülz, „Dichter“, der verdientermaßen für seine wunderschönen Gedichte von allen Seiten gefeiert wurde. (Text: Michael Bittner)
Am 23. November gab es zweifellos einen weiteren Höhepunkt des Festivals „Literatur Jetzt!“. Bei “Poetry – Dead or Alive” traten im Kleinen Haus des Dresdner Staatsschauspiels die erfahrenen Performance-Poeten Ken Yamamoto, FIVA MC, Gabriel Vetter sowie das Team LSD (Volker Strübing und Micha Ebeling) gegen vier Schauspieler an, die Werke verstorbener Geistesgrößen interpretierten. Dabei setzten sich die lebenden Poeten nur ganz knapp gegen die Schauspieler durch, die sich durchweg in Höchstform präsentierten. Katka Kurze las ein groteskes Weihnachsgedicht von James Krüss, Sean McDonagh rotzte mitreißend zwei sehr körperbetonte Liebesgedichte von E.E. Cummings und Bertolt Brecht in den Saal, Holger Hübner erweckte das – sicher besonders durch Eberhard Esche bekannte – Gedicht „Der Hase im Rausch“ Sergei Wladimirowitsch Michalkows wieder zum Leben und Minna Wündrich gab einem leidenschaftlichen Monolog der früh verstorbenen Dramatikerin Sarah Kane eine Stimme. Das Publikum wählte Minna Wündrich denn auch ins Finale, wo sie den Routiniers vom Team LSD unterlag, die ihr herrliches Duett mit dem Titel und Thema „Deutschland“ inszenierten. Moderiert wurde der Abend von den Münchner Literaturveranstaltern Ko Bylanzky und Rayl Patzak. Letzterer legte im Anschluss in seiner Rolle als „Poesie-DJ“ im Foyer des Kleines Hauses noch bis spät in die Nacht auf. (Text: Michael Bittner)
Am 24. November gastierte das Festival „Literatur Jetzt!“ in der Groove Station, wo das „Gipfeltreffen der Berliner Lesebühnen“ stattfand. Mit dabei war der Ingeborg-Bachmann-Preisträger der Herzen Jochen Schmidt, der unter anderem eine Geschichte aus seinem neuen Buch „Meine wichtigsten Körperfunktionen“ vorstellte, außerdem Micha Ebeling, der seine Erfahrungen mit dem Dresdner Schaubudensommer aufarbeitete, dann Andreas „Spider“ Krenzke, der gewohnt grostesk-melancholische Geschichten zum Besten gab und schließlich Ahne, der es sich natürlich nicht nehmen ließ, eines seiner „Zwiegespräche mit Gott“ vorzutragen. Ein guter Rat von seiner Seite beschloss den literarischen Teil des Abends: „Passt bloß auf, dass die Neustadt nicht so endet wie der Prenzlauer Berg!“ Sein Wort in Gottes Ohr! Im Anschluss brachte das Pop-8-DJ-Team bis 3 Uhr nachts die Massen zum Tanzen. (Text: Michael Bittner)
Die 15. „Offene Bühne im Hecht“ läutete am Abend des 25. November abwechslungsreich den letzten Tag des Literaturfestivals ein. Das Besondere an der von Steffen Haas und Steffen Kunath organisierten Veranstaltung ist ihr offenes Konzept: jeder darf mitmachen, der Eintritt ist frei. Künstler aus den Reihen des Publikums können sich und ihre Werke so einer großen Zuhörerschaft präsentieren. Literarische Gäste waren unter anderem Florian Hohmann, Roman Israel, Stephen Blaubach, Christiane Michel, Francis Mohr und Moritz Siegel. Der Ort des Geschehens, das E2 in der Erlenstraße im Hechtviertel, war brechend voll: in dem kleinen Raum war auch der letzte Platz besetzt, viele drängten sich auch noch im Gang oder an der Bar und verfolgten im Stehen die dargebotene Mischung aus Musik, Prosa und Gedichten. (Text: Christiane Michel)
„Die feine Art des Saufens“, ein „Handbuch für den modernen Trinker“ von Frank Kelly Rich, wurde am 25. November zum Abschluss des Festivals vom Leipziger Autor Clemens Meyer nicht einfach vorgelesen: es wurde zelebriert. Nachdem bereits der große Saal der Scheune als Bar dekoriert worden war, genehmigte sich Clemens Meyer am Tresen nach jeder amüsanten Geschichte aus dem Buch auch ein Glas Hochprozentiges. Seine Lesefähigkeit litt darunter erstaunlicherweise nicht wesentlich. Das Buch aus dem Tropen-Verlag enthält neben amüsanten Anekdoten zum Trinkerleben und innovativen Tipps für Fremdpartyschmarotzer auch eine Zeittafel im Anhang, die das Jahr 1945 völlig zu Recht als Sieg der Quartalssäufer Churchill, Roosevelt und Stalin gegen einen irren Abstinenzler feierte. Der Charme und die Stimme des Autors von „Als wir träumten“ passten hier wie die berühmte Faust aufs Auge. (Text: Michael Bittner)