Zum sechsten Mal fand vom 11. bis 21. September 2014 „Literatur Jetzt!“, das „Dresdner Festival zeitgenössischer Literatur“ statt. In diesem Jahr widmete es sich dem ebenso aktuellen wie zeitlosen Thema „Zorn“. Mehr als 1000 Zuschauer besuchten die acht Veranstaltungen des Festivals, an dem fast 30 zeitgenössische Autoren, Musiker und Künstler mitwirkten. Organisiert wurde das Literaturfest wieder vom livelyriX e.V. in Zusammenarbeit mit zahlreichen Partnern. Förderer waren erneut die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen, der Landeshauptstadt Dresden und der Kulturstiftung Dresden der Dresdner Bank. Die Programmgestaltung und Organisation lag in den Händen von Michael Bittner (Autor), Leif Greinus (Verlag Voland & Quist), Ludwig Henne (Kulturmanager), Helge Pfannenschmidt (Verlag edition AZUR) und Volker Sielaff (Autor).
Vom 11. bis zum 20. September war im Rahmen des Festivals „Literatur Jetzt!“ in der Neustädter Markthalle die Graphic-Novel-Ausstellung „KafKa in KomiKs“ zu sehen. In der Ausstellung wurden die künstlerischen Auseinandersetzungen von Robert Crumb, Chantal Montellier sowie von Jaromir 99 mit Franz Kafka präsentiert. Kuratiert wurde die Schau von dem Hörspiel- und Graphic-Novel-Autor David Zane Mairowitz, für Design und Produktion waren die Grafikagentur Gold & Wirtschaftswunder bzw. das Literaturhaus Stuttgart verantwortlich. Die Ausstellung machte das Zusammenschmelzen von Realität, Visionen und Alpträumen in Kafkas Werk plastisch erlebbar und zeigte Kafkas Suizidgedanken wie seine auf sich selbst bezogene Wut. Damit behandelte die Ausstellung eine Facette des diesjährigen Themas des Literaturfestivals: den Zorn. Zur Eröffnung führte der Schriftsteller Jaroslav Rudis in die Ausstellung ein. Außerdem spielten Jaromir 99 und seine Kafka-Band einige Songs unplugged. Nach der bereits gut besuchten Eröffnung sahen in nur einer Woche fast 500 Menschen die Ausstellung, darunter auch mehrere Schulklassen.
Am 16. September waren beim Festival „Literatur Jetzt!“ in Kooperation mit dem Deutschen Hygiene-Museum die Berliner Autorin Katja Lange-Müller und der schwedische Schriftsteller griechisch-österreichischer Abstammung Aris Fioretos zu Gast. Vor etwa 50 Gästen unterhielten sie sich über Muttersprachen und den „ausländischen Vater“. Katja Lange-Müller stellte einen Auszug aus einem in Arbeit befindlichen neuen Roman unter dem Titel „Drehtür“ vor, in dem es um eine nach Jahrzehnten aus Nicaragua zurückkehrende Krankenschwester geht, für die ihr Herkunftsland fremder (geworden) ist als das Land, in dem sie lange als „Aufbauhelferin“ tätig war. Aris Fioretos las aus seinem Roman „Die halbe Sonne“, der, aus der Perspektive des Sohnes, das Bild eines Vaters rückwärts von dessen Tod bis zur Geburt des Sohnes erzählt. Der Dresdner Schriftsteller Marcel Beyer, der für den erkrankten Moderator Prof. Walter Schmitz spontan eingesprungen war, moderierte den hochinteressanten Abend.
Am 17. September veranstaltete „Literatur Jetzt!“ im Jazzclub Tonne die traditionelle Lyriknacht vor etwa 50 Gästen. Der Berliner Dichter Tom Schulz eröffnete den Abend, er las Gedichte aus allen Phasen seines Schaffens und allen Bänden seines Werkes, so auch dem zuletzt erschienenen Buch „Innere Musik“. Im zweiten Programmteil ergänzten sich die beiden auch privat befreundeten Leipziger Thomas Kunst und Fabian Schütze aka Me and Oceans. Thomas Kunst las Gedichte aus seinem aktuellen Band „Die Arbeiterin auf dem Eis“ sowie unveröffentlichte Prosatexte. Me and Oceans begeisterte das Publikum mit Liedern, in denen elektronische Klänge, ausdrucksvoller Gesang und poetische Texte eine reizvolle Mischung eingingen.
Am 18. September fand die traditionelle „Nacht der Lesebühnen“ mit Autoren aus dem Bereich der satirischen und komischen Literatur vor etwa 70 Zuschauern in der scheune statt. Passend zum Thema des diesjährigen Festivals widmeten sich die Lesebühnenautoren vorwiegend dem Zorn. Ahne von der „Reformbühne Heim & Welt“ aus Berlin ließ in einem seiner beliebten „Zwiegespräche mit Gott“ seiner Wut über allgegenwärtige Verschwörungen freien Lauf. Die Leipziger Poetin Linn Penelope Micklitz hingegen verweigerte sich in ihren bildhaften Texten über das Familienleben dem Zorn und spürte eher psychsischen Verwerfungen nach. Der Oberlausitzer Autor Udo Tiffert pflegte in seinen Texten durchaus den stillen Zorn und ging beispielsweise mit der Unberechenbarkeit der Frauen ins Gericht. Heiko Werning von der Berliner Lesebühne „Brauseboys“ schließlich richtete in seinen Satiren wütende Attacken gegen Beamte, Boulevardschwätzer und deutsche Kegelfreunde, dabei mit stilvollem Witz stets ins Schwarze treffend.
Am 19. September war der ukrainischische Dichter, Romancier und Essayist Juri Andruchowytsch zu Gast beim „Literatur Jetzt!“ Etwa 100 Gäste verfolgten die hochinteressante Veranstaltung im Kleinen Haus. Moderator Thomas Geiger stellte den Autor zunächst vor, danach las Juri Andruchowytsch einige seiner Gedichte aus verschiedenen Schaffensphasen. Das Gespräch wandte sich dann der aktuellen Lage in der Ukraine zu. Juri Andruchowytsch las seinen Beitrag zu dem Band „Euromaidan“, in dem er in persönlicher Weise die entscheidenden Ereignisse der zurückliegenden Revolution schilderte. Im Gespräch mit Thomas Geiger ging es schließlich auch um die Hintergründe des Geschehens und den Mangel an europäischer Solidarität. Ein humorvoller und zugleich berührender, poetischer wie politischer Abend.
Am 20. September stellte Selma Wels zusammen mit ihrem Mann Kai Wels den in ihrem Verlag binooki erschienenen Band „Gezi. Eine literarische Anthologie“ im Jazzclub Tonne vor. In einer Lesung wurde das vielstimmige Buch, in dem verschiedenste Stimmen der türkischen Protestbewegung vereinigt sind, für das Publikum lebendig. Als Kenner der politischen Lage in der Türkei beantworteten die beiden auch Fragen des Publikums zur aktuellen Lage und den Beweggründen der Demonstranten in Istanbul. Das im Anschluss geplante Konzert von BaBa ZuLa musste wegen einer Absage der Band leider entfallen, dafür legten die Dresdner DJs Ehud Goldstein und Said sur la Place nach der Lesung noch tanzbare Musik auf.
Der 21. September begann mit dem „Literarischen Frühschoppen“ im Alten Wettbüro, wo der Autor Jörg Albrecht seinen Roman „Anarchie in Ruhrstadt“ (Wallstein) vorstellte. Das Buch ist eine wilde und komische Zukunftsvision über ein zur Riesenstadt vereinigtes Ruhrgebiet, in dem die Vertreter der Kreativwirtschaft die Herrschaft an sich gerissen haben. Dem experimentellen Ton des Romans entsprach seine Vorstellung: Jörg Albrecht las nicht nur mehrstimmig und ausdrucksvoll, sondern kombinierte den Text auch noch mit filmischen und musikalischen Elementen. Für die etwa 30 Gäste stand neben der Dichtung auch ein reichhaltiges Buffet bereit.
Am 21. September endete abends das Festival „Literatur Jetzt“ des Jahres 2014 mit der Lesung von Harald Martenstein. Der beliebte Kolumnist von „Zeit“ und „Tagesspiegel“ las eine Auswahl seiner Kolumnen, die ebenso oft Zorn zum Ausdruck bringen wie bei manchen Lesern auslösen. Die etwa 200 Gäste in der Schauburg reagierten hingegen erwartungsgemäß begeistert auf die heiteren Alltagsbeobachtungen und polemischen Attacken auf mediale Hysterien und politische Blockaden.